Hallo Martin,
Schon an dieser Stelle erschließt sich mir die Logik
nicht. Mitglieder
stimmen in Vereinen immer auf Basis dessen ab, was sie persönlich für
richtig halten. Sie müssen sich niemandem gegenüber rechtfertigen und
haben
auch keinerlei Pflichten, bei ihrer Stimmabgabe die "Interessen des
Vereins" oder ähnliches zu berücksichtigen. Sie haben die volle Freiheit,
abzustimmen, wie ihnen die Nase gewachsen ist. Und das tun sie auch, jeder
mit seiner ganz eigenen Motivation. Wir haben Spender, Wikipedia-Autoren,
Fotografen, Entwickler, PR-Berater, Mitarbeiter, Journalisten, etc. als
Mitglieder.
Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen den letztgenannten Gruppen
und den Mitarbeitern der Geschäftsstelle: Nur die beim Verein selbst
angestellten Mitglieder befinden sich in der paradoxen Situation, quasi ihr
eigener Arbeitgeber zu sein und sind zu dem gerade den Organen
weisungsgebunden, die sie im Rahmen der Mitgliederversammlung eigentlich
kontrollieren sollen.
Das verstehe ich nicht. Arbeitgeber der Mitarbeiter ist der Verein,
vertreten durch den Vorstand. Klar entscheiden Mitarbeiter in ihrer
Tätigkeit als Mitglied auch über Dinge, die ihre Arbeit ganz allgemein und
den Vorstand ganz konkret betreffen. Das ist nicht sonderlich ungewöhnlich,
zumal in Deutschland durch die gesetzlichen Mechaniken der
Arbeitnehmermitbestimmung so eine Einflussnahme sogar gewollt ist. Ob das
nun formell über Betriebsräte oder Arbeitnehmervertreter in
Aufsichtsgremien oder informell über Mitarbeiter auf der MV oder in anderen
Vereinsgremien passiert, ist da nebensächlich.
Da in solchen Situation Interessenkonflikte
unausweichlich sind, sehen
z.B. die Kommunalordnungen für den staatlichen Bereich in solchen Fällen
eine Einschränkung des Wahl- oder Stimmrechts, bzw. ein Ruhen des selbigen
vor.
Ich kenne mich mit Kommunalordnungen nicht aus, kann mir aber nur schwer
vorstellen, dass Wähler ihr Stimmrecht verlieren oder es eingeschränkt
wird, weil sie ggf. einen Interessenkonflikt haben (wobei unklar ist, warum
es den geben sollte). Beachte bitte noch einmal: die Mitgliederversammlung
ist definitionsgemäß kein repräsentatives Organ. Es gibt keinerlei Grund
zur Annahme, dass die Entscheidungen der Mitgliederversammlung die
Interessen oder Positionen der ganzen Mitgliederschaft wiederspiegeln.
Hinzukommt, dass unsere Art der MV nur bei dieser
Mitgleidergruppe ein so
eklatantes Missverhältnis, zwischen dem Anteil an der Gesamtzahl der
Mitglieder (< 1%) und dem Anteil an den bei der MV anwesenden
Stimmberechtigten (>10%) erzeugt.
Ich würde den (freilich unpopulären) Vergleich ziehen, dass das für
Wikipedianer auch gilt. Nur eine Minderheit unserer Mitglieder sind aktive
Wikipedianer. Auf den MVs sind sie aber sehr stark vertreten. Dass
dominierende Minderheiten in unrepräsentativen Gremien unrepräsentative
Beschlüsse herbeiführen können, liegt halt in der Natur der Sache.
Man stelle sich nur mal den hypothetischen Fall vor, dass z.B. auf einer
MV in
Berlin über eine (warum auch immer) sinnvoll erscheinende
Verlagerung
der Geschäftsstelle in den geographischen Mittelpunkt Deutschlands (also
nach ///Landstreit bei Eisenach)/ abgestimmt würde.../
Was heißt hier "sinnvoll"?
Du hast schon das Wort „hypothetisch“ gelesen?! Ich habe bewusst ein
unrealistisches Beispiel gewählt, um es von der aktuellen Kontroverse zu
lösen.
Du hast mich missverstanden. Ich habe nicht den Sinn eines Umzugs in traute
Landstreit in Frage gestellt. Ich meinte eher, auf welcher Basis in so
einem Fall über die Sinnhaftigkeit entschieden wurde. Worauf ich hinauswill
ist, dass ich mir nur schwer vorstellen kann, dass so ein Umzug ohne
Berücksichtigung der Mitarbeiterinteressen sinnvoll sein kann.
Natürlich soll die Wikimedia ein
mitarbeiterfreundlicher und
verantwortungsvoller Arbeitgeber sein. Und natürlich schätze ich die Arbeit
der Geschäftsstellenmitarbeiter.
Trotzdem ist die Geschäftsstelle kein Selbstzweck, sondern letztlich nur
ein Mittel zum (Vereins-)Zweck zu erfüllen. Ich wehre mich daher
entschieden dagegen, dass Wachstum der Geschäftsstelle als Indikatior für
den Erfolg dieses Vereins anzusehen. Unsere Aufgabe ist die Schaffung
freien Wissens und das misst man weder in Euro noch in Quadratmetern oder
Anstellungsverträgen, sondern in der Quantität und Qualität freier Inhalte.
Die Aufgabe des Vereins ist es, "die Erstellung, Sammlung und Verbreitung
Freier Inhalte (engl. Open Content) in selbstloser Tätigkeit zu fördern, um
die Chancengleichheit beim Zugang zu Wissen und die Bildung zu fördern."
Wenn man das richtig liest, ist die Aufgabe des Vereins eigentlich, die
Chancengleichheit beim Zugang zu Wissen und Bildung zu fördern, und er tut
das, indem er Freie Inhalte bzw. deren Erstellung, Sammlung und Verbreitung
selbst fördert. Messen kann man das auf vielen Wegen, aber es wird sicher
nicht ausreichen, die Quantität und Qualität der Inhalte zu erfassen. Soll
heißen: nur, weil "irgendwo" im Internet Freie Inhalte geschaffen werden,
ist es noch lange nicht gegeben, dass sie auch bekannt sind und genutzt
werden.
Du hast Recht, die Geschäfstelle ist kein Selbstzweck. Ebensowenig sind
aber auch die Wikipedia bzw. die Wikimedia-Projekte allgemein, die
Community, Freie Lizenzen, MediaWiki-Entwicklung, etc. Selbstzweck.
Das ist sicher richtig. Allerdings dürfte sich das
angesichts der
Vorbehalte, die es Samstag schon gegen einen Audio-Aufzeichnung gab
ziemlich schwierig gestalten.
Keine Frage. Ich habe auch keine patente Lösung dafür, nichtsdestotrotz
müssen wir welche finden. Der Verein wird nur dann gut funktionieren und
erfolgreich sein, wenn die diversen darin versammelten Interessen sich
gemeinsam austauschen und gemeinsam Entscheidungen treffen.
Allerdings ist hier neben Motivation und Engagement
vor allem die
Geographie der beschränkende Faktor: Wenn die MV nicht gerade im
Wohnort-Nähe stattfindet, ist die Teilnahme an der MV nicht nur ein
beträchtliche zeitliche, sondern vor allem eine finanzielle Investition.
Mit Anfahrt und Hotel kommen da schnell mal hundert Euro pro MV (und damit
ein vielfaches des Mitgliedsbeitrags) zusammen. Und das kann und will sich
eben nicht jeder leisten.
Man muss kein Pessimist sein, um zu erkennen, dass wir wohl niemals eine
Mitgliederversammlung haben werden, bei der auch nur 10% der Mitglieder
physisch anwesend sind.
Ich sehe da durchaus Möglichkeiten. Wenn die MV es im aktuellen Format
nicht schafft, attraktiv genug für die Mitglieder zu sein, lohnt es sich
vielleicht, dieses zu ändern, um die Attraktivität zu steigern.
Nach meiner Einschätzung werden wir also auf absehbare
Zeit mit der
aktuellen Form leben müssen. Und es ist unsere Aufgabe die so zu gestalten,
dass sie trotzdem im Sinne des Gesamtvereins entscheidet.
Ich sehe hier einen unlösbaren Widerspruch. Die aktuelle Form der
Mitgliederversammlung schließt eine Repräsentativität bezüglich des
Gesamtvereins faktisch aus. Wir geben uns da tatsächlich einer Illusion
hin, weil ja doch Leute kommen und aktiv mit viel Engagement und Herzblut
diskutiert und beschlossen wird. Es ändert aber nix daran, dass die
Teilnahme an der Mitgliederversammlung eigentlich nur den Leuten
offensteht, die zeitlich und materiell entsprechend privilegiert sind (wie
du ja selbst eingestehst).
Beste Grüße
Sebastian Moleski