Von: "Harald Krichel" <harald.krichel(a)wikimedia.de>
Gesendet: 13.09.2011 11:12:36
Ich finde es überhauptz nicht gut, das jetzt Pavels
Statement (nicht mal
seine differenziertere Meinung) als die Meinung von Wikimedia
Deutschland dasteht.
Ich denke, daß das Pavels persönliche Meinung war. Die hat er aber eben als Vertreter von
WMDE auf einer Podiumsdiskussion getätigt. Das ist so, als würde ein Admin in der
Wikipedia seine persönliche Meinung sagen, die dann als "offiziell
administrativ" aufgefasst wird. Ich würde das alles nicht so hoch hängen. Und ich
finde auch, daß der Verein keine eigene Meinung nach aussen tragen sollte.
Persönlich kann ich verstehen, daß es bestimmte Gründe gibt, über einen solchen Filter
nachzudenken. Ich bin vor 2 Jahren mal auf Abtreibungsbilder gestoßen. Seitdem kann ich
die Forderung verstehen. Dennoch teile ich sie nicht. Ich finde auch das von Chen
vorgetragene Argument, daß das westliche Wertesystem nicht auf der ganzen Welt greift und
deshalb die Ausbreitung der Wikimedia-Projekte behindert werden für absolut untragbar. Wo
steht denn geschrieben, daß wir zwingen expandieren müssen und Jeden Menschen in allen
Sprachen erreichen müssen? Na dann eben nicht. Wer aufgrund bestimmter Gründe nicht
erreicht werden kann oder möchte - na den erreichen wir dann eben nicht. Ich erwarte, daß
die Wikimedia-Projekte bestimmte Werte in die Welt trägt. Und wem diese nicht gefallen,
egal wie westlich-dekadent sie erscheinen mögen. Ich weiß allerdings nicht, was an
Demokratie, Offenheit, Neutralität, Objektivität und so weiter so fehlerhaft sein sollte,
daß es nicht überall gilt. Das ist dieses Scheinargument, daß auch in der Poliik von
Despoten kommt: daß man Demokratie vielleicht in Europa haben könnte, aber für Land XYZ
ist es nicht oder noch nicht das Richtige. Systemimmanent für eine Enzyklopädie ist seit
D'Alembert und Diderot, daß nicht zensiert wird. Klar, es gibt immer kulturelle
Biasen. Aber daran kann man arbeiten. Doch sicher nicht mit einem Filter. Der ja auch
immer nur ein Beginn ist. Zuerst für kritische Bilder - dann für harmlosere. Wie das
laufen kann sehen wir doch in den USA. Ich erinnere mich an ein Plattencover von David
Bowies Band Tin Machin, daß Anfang der 1990er überklebt werden mußte, weil es vier nackte
Kuroi zeigte. Also antike Statuen. Wann wird sowas dann auch bei uns heraus gefilert? Denn
derartige Filterungen beeinflussen am Ende auch unsere Sicht auf die Dinge. Und ich will
nicht, daß bei uns antike Statuen, Rambrandt oder Schiele zensiert werden.
Die Foundation ist derzeit auf einem gefährlichen Weg. Vielleicht kann sie sich ja in
Asien und Afrika weiter ausbreiten und die Foundation-Vertreter damit ihre eigenen
Positionen stärken. Dort, wo bislang das Geld gemacht wird, daß diese Entwicklungen erst
bezahlt, könnte die Comunity ernsthaft weg brechen. So gewinnt oder hält man keine
Autoren. Aber bei Board und WMF-Geschäftsführung scheint derzeit generell der Größenwahn
ausgebrochen zu sein. Es ist ja nicht nur der Bildfilter. Auch das Chapters Agrement und
andere Dinge. "Da oben" entfernt man sich in einem unglaublich hohen Tempo von
"hier unten". In Nürnberg sprachen die ersten wichtigen und sehr aktiven Autoren
ernsthaft von einem Fork. Schauen wir uns doch mal die Entwicklung etwa des Boards an.
Früher wurden meines Wissens mal alle Mitglieder gewählt. Heute noch 3 von 10. Die, die
das Projekt ausmachen, haben kaum mehr etwas zu sagen. Auch die beiden von den Chaptern
entsandten Vertreter scheinen das Chapters Agrement mit getragen zu haben - dann fragt man
sich, wie schlecht die Chapter entschieden haben, wenn ihre Vertreter so gegen ihre
Interessen verstoßen. Wenn ich an die Foundation denke, kommt mir derzeit immer öfter
Tracy Chapmann in den Sinn: "Talking about a Revolution".
Marcus